Hank Williams – DER SONGWRITER

Von weit mehr als 100 Songtexten hat Hank Williams keine Aufnahmen hinterlassen.

(von Manfred Reinhardt)

(1) Am Neujahrstag 2005 traf sich, an die Tradition vorausgegangener Jahre anknüpfend, der harte Kern der amerikanischen Hank Williams Fan-Gemeinde, um den 52. Todestag ihres Idols im vertrauten Kreis Gleichgesinnter zu begehen. Das Hank Williams Museum in Alabamas Hauptstadt Montgomery wird immer mehr zum Zentrum solcher Aktivitäten. Es hatte auch in diesem Jahr wieder zu einem Tag des Gedenkens in seine Ausstellungsräume an der Commerce Street 122 eingeladen. Auf dem Programm des Tages standen u. a. Besuche von Hanks Grab auf dem Oakwood Cemetery Annex, der in Bronze gegossenen lebensgroßen Hank Williams Statue vor dem Rathaus (Municipal Auditorium) sowie anderer Stationen, die an die Jahre erinnern, als Hank Williams in Montgomery lebte (von 1937 bis 1948). Das Denkmal ist 1991 an der Stelle errichtet worden, wo sich zur Trauerfeier am 4. Januar 1953 mehr als zwanzigtausend Menschen versammelt hatten, um von Hank Williams Abschied zu nehmen (Foto).

Aus dem immer kleiner werdenden Kreis der Drifting Cowboys waren, trotz fortgeschrittenem Alter und körperlicher Gebrechen, auch in diesem Jahr wieder ein paar von Hanks einstigen Weggefährten zu der Veranstaltung erschienen. Nach Lum Yorks Tod im August 2004 (wir berichteten in der letzten Ausgabe) leben derzeit noch neun von einst 44 "Drifting Cowboys" (s. Liste). Manche gehörten der Band nur kurze Zeit an, andere hielten Hank über Jahre hinweg bis zu seinem Tod die Treue. Während die Akteure wechselten, blieb der Name der Band immer gleich. Ein Buch mit den Biografien jener 42 Männer und zwei Frauen, die Hank Williams ein Stück auf seinem Weg begleiteten und mit dem unverwechselbaren Sound der Drifting Cowboys Band zu seinem Erfolg beitrugen, ist vor kurzem erschienen. Der Autor Steve Maze aus Arab (Alabama), Herausgeber der Zeitschrift Yesterday’s Memories, schließt mit dem Ergebnis seiner mehrjährigen Recherchen, Interviews und protokollierter persönlicher Erinnerungen eine wichtige Informationslücke. Das Buch "Hank Williams and his Drifting Cowboys" wurde auf der Gedenkfeier vorgestellt (Einzelheiten mit interessanten Fotos im Internet unter www.yestmemories.com (new book).

Auch Hanks Stieftochter Lycrecia Williams Hoover und ihre bewährte Co-Autorin Dale Vinicur bereicherten auf der Veranstaltung das gut bestückte literarische Angebot zu Hank Williams um eine weitere Neuveröffentlichung.

"Dear Mama Williams…A Collection of Sympathy Cards & Letters"

heißt ihr neues Buch, eine Auswahl von Kondolenzbriefen und -karten. Körbeweise wurde Trauerpost bei Hanks Mutter Lillybelle "Lilly" Stone in ihrer Pension an der 318 North McDonough St. angeliefert, nachdem die Agenturen an jenem 1. Januar 1953 die Todes- nachricht über den Ticker rund um die Welt verbreitet hatten. Die Sammlung zeigt, wie quer durch alle Gesellschaftsschichten Hanks Tod die Menschen in den USA und im Ausland erschüttert hat. Vom gleichen Autoren-Duo war 1989 das Buch "Still In Love With You" - Erinnerungen einer Tochter an Hank und Audrey Williams erschienen.

Weitere Info zu beiden Büchern im Internet unter http://www.audreysdream.org/books/letters.php

 

(2) Unter die 200 Teilnehmer der Gedenkveranstaltung mischte sich auch der in Montgomery lebende Geschäftsmann Charles Carr. Ende 1952, im Alter von 17 Jahren, hatte Carr bereits sein High School Diplom in der Tasche und sich als Studienanfänger an der Universität von Auburn in Alabama immatrikulieren lassen. Sein Vater, Inhaber eines Taxiunternehmens in Montgomery, war um die Weihnachtszeit 1952 von seinem langjährigen Kunden Hank Williams beauftragt worden, einen Fahrer zu suchen, der ihn auf einer mehrtägigen Reise begleiten sollte. Da noch nicht alle angestellten Fahrer aus dem Weihnachtsurlaub zurück waren, fiel Charles Carr die Aufgabe zu, während seiner Ferien in der väterlichen Firma auszuhelfen. Für ein damals mehr als großzügig bemessenes Entgelt von 400 Dollars übernahm Charles Carr den Auftrag, Hank Williams in dessen blauen Cadillac von Montgomery u. a. zu einem Neujahrsauftritt im 1600 km entfernten Canton/Ohio zu chauffieren. Er konnte nicht ahnen, welchen dramatischen Verlauf die Reise nehmen und welche Auswirkungen die Ereignisse der folgenden Tage auf sein künftiges Leben haben würden.

Die Geister der Vergangenheit verfolgen Carr bis heute, besonders wenn er an Jahrestagen wie Hanks Geburts- oder Todestag von Journalisten immer wieder aufgefordert wird, sich für die Kameras hinter das Steuer des im Museum ausgestellten blauen Cadillac zu setzen (Foto). Dann kehren Erinnerungen zurück an jenen nächtlichen Horrortrip von Knoxville (Tennessee) durch die Appalachians nach Oak Hill (West Virginia), behindert durch dichtes Schneetreiben und extreme winterliche Straßenbedingungen, mit dem leblosen Hank Williams auf dem Rücksitz. Charles Carr hat fast 40 Jahre lang geschwiegen und Interviews beharrlich abgelehnt. Erst 1993 hat er seine Medienscheu überwunden und widerstrebend in die Aufzeichnung eines Gesprächs mit einem französischen Fernsehteam eingewilligt. Der Kameramann durfte ihn nur durch die dunkel getönte Windschutzscheibe des Autos filmen. Einer Aufklärung offenkundiger Lücken, Widersprüche und Ungereimtheiten in seiner Darstellung der Reise weicht er weiter aus. Rang der leblose Hank etwa schon mit dem Tod, als er am späten Abend des 31. Dezember 1952 vom Hotelpersonal in Knoxville zum Auto getragen und auf den Rücksitz gelegt worden war? Unklar ist bis heute geblieben, was sich in den Stunden des Aufenthalts im Andrew Johnson Hotel zugetragen hat. Viele zweifeln Charles Carrs Aussage an, wonach er bei einer Rast in Bristol, kurz nach dem Passieren der Staatsgrenze von Tennessee nach Virginia, noch ein paar Worte mit Hank Williams gewechselt haben will, die letzten, an die er sich angeblich genau erinnern kann.

Ein erschöpfter und mit den Widrigkeiten des bisherigen Reiseverlaufs offensichtlich überforderter Charles Carr heuerte in Bristol einen Aushilfsfahrer an. Dieser setzte die nächtliche Fahrt nach Norden fort, mit Charles Carr auf dem Beifahrersitz, um sich eine Ruhepause zu gönnen. Auf dem Rücksitz hinter den beiden lag regungslos, unter seinem blauen Wollmantel vermeintlich schlafend, Hank Williams. Hank war zu diesem Zeitpunkt, unter dem Einfluss einer mörderischen Mixtur aus Alkohol, Schmerz- und Beruhigungsmitteln längst in tiefe Bewusstlosigkeit gefallen. Sein Tod durch Herzstillstand trat unbemerkt ein. Erst bei einem Tankstop kurz vor Oak Hill realisierte der Aushilfsfahrer Don Surface, dass mit Hank etwas nicht stimmen konnte und weckte Charles Carr.

Hanks Hände waren zu diesem Zeitpunkt bereits kalt und starr. Als irgendwo auf der einsamen Strecke das neue Jahr 1953 begann, war Hank Williams bereits an der Schwelle zum Tod angelangt. Doch woher stammten multiple Verletzungen am Körper von Hank Williams, die bei der Obduktion der Leiche protokolliert worden waren? Hat Charles Carr etwas zu verbergen? Um Hanks letzte Reise ranken sich Gerüchte, Spekulationen, ja sogar schwerwiegende Verdächtigungen. Charles Carr ist der einzige, der die volle Wahrheit kennt. Millionen von Menschen brennen seit Jahrzehnten darauf, sie zu erfahren. Wird Carr sein ganzes Wissen jemals offenbaren? Sich auf Erinnerungslücken zu berufen, wird nicht überzeugen, denn dafür war ihm das Thema zeitlebens viel zu präsent.

Ein möglicherweise in diesem Jahr erscheinendes neues Buch über Hanks letzte Fahrt im Cadillac verspricht gründliche und sorgfältige Recherchen. Es könnte ein Bestseller werden. Der Autor, ein professionellen Ermittler und intimer Kenner der Hank Williams Lebensgeschichte, möchte noch ungenannt bleiben. Wird es ihm gelingen, schlüssige Antworten auf viele offene Fragen zu den mehr als ein halbes Jahrhundert zurück liegenden Ereignissen zu geben? Bis dahin wird das tragische letzte Kapitel der Hank Williams Lebensgeschichte weiter mit zahlreichen Fragezeichen versehen bleiben.

(3) Hank stand im Zenith seiner Erfolge, als er mit 29 Jahren auf eine solch spektakuläre Weise starb. Sein früher Tod und dessen außergewöhnliche Umstände haben die Legendenbildung gefördert. Doch es waren hauptsächlich seine einzigartigen Liedertexte, die Maßstäbe setzten und Hank Williams Lebenswerk unsterblich machten. Spätestens an jenem Neujahrstag 1953, als nach dem letzten Akt des Lebensdramas der Vorhang gefallen war, stand fest, dass Hank Williams als einer der bedeutendsten Songschreiber in die amerikanische Musikgeschichte eingehen würde.

Viele seiner Songs sind nur als handschriftliche Notizen der Nachwelt erhalten geblieben.

Hanks schöpferische Geist schien gegen Ende seines Lebens der verbleibenden Zeit auf und davon zu eilen. In den letzten Monaten vor seinem Tod entstanden so manche seiner bedeutungsschweren Lieder, als seien sie für eine Veröffentlichung nach seinem Tod bestimmt gewesen. Titel wie "I’ll Never Get Out Of This World Alive" oder "Angel Of Death" sprechen für sich. Von Todesahnungen heimgesucht schrieb er in den letzten Stunden noch zwei beklemmende Verse des Abschieds. Es sind Hanks letzte Worte, vermutlich an die Adresse seiner von ihm geschiedenen Ehefrau Audrey gerichtet. Oder haben sie vielleicht doch seiner jungen Frau Billie Jean gegolten, mit der er nur knapp drei Monate verheiratet war? Die letzte Botschaft lag, in kaum leserlicher Schrift auf einen Zettel gekritzelt, am Boden des blauen Cadillac, als Hanks Leichnam aus dem Fahrzeug geborgen worden war.

WE MET, WE LIVED AND DEAR WE LOVED

THEN CAME THAT FATAL DAY

THE LOVE THAT FELT SO DEAR, FADES FAR AWAY

BUT THAT’S THE PRICE WE HAVE TO PAY.

TONIGHT WE BOTH, ARE ALL ALONE

AND HERE’S ALL I CAN SAY.

I LOVE YOU STILL, AND ALWAYS WILL,

BUT THAT’S THE PRICE WE HAVE TO PAY

 

 

(4) Don Cusic, Professor an der Middle Tennessee State University, hat Anfang 1993 eine Sammlung aller zu jener Zeit bekannten Liedertexte aus der Feder von Hank Williams herausgegeben (Hank Williams – The Complete Lyrics). Das Buch ist vergriffen. Auch die rd. 140 Titel umfassende Liedersammlung wird ihrem damaligen Anspruch auf Vollständigkeit schon lange nicht mehr gerecht. Trotzdem bleibt die Veröffentlichung ein Markstein in einer langen Liste von Hank Williams Chroniken. Denn im Vorwort gelingt Cusic in eindrucksvoller Weise eine umfassende Würdigung des Menschen und Songschreibers Hank Williams, seiner großen Erfolge, Triumphe und Niederlagen.

Hank Williams – ein Shakespeare der kleinen Leute aus dem tiefen amerikanischen Süden. Ein kreativer Geist, der es intuitiv verstand, komplexe Lebenssituationen in einfache Elemente zu zerlegen und daraus scheinbar mühelos unvergängliche Lyrik zu schmieden, die seinen Zuhörern aus der Seele spricht.

Hank Williams schwarz-weiß zu portraitieren, auf eine Ausprägung der feinen Konturen zu verzichten und Hanks dunkle Seiten als ein durchgängiges Merkmal seiner Persönlichkeit zu porträtieren, ist nicht Cusics Sache. Der Autor erliegt, anders als manchen Medien, nicht der Versuchung, Hank Williams auf die Zerrissenheit eines nur im Suff funktionierenden Genies zu fixieren, nämlich auf jenen traurigen Poeten, der seine künstlerische Kraft aus einem ungebremsten Fall in die Selbstzerstörung zu schöpfen schien. Seine einzigartigen autobiographischen Songs waren gewiss oft Aufschreie der gepeinigten Seele und ein Ventil zur Befreiung von den Traumata seiner erlebten Welt. Es gab aber noch viele andere Beweggründe, die Hanks schöpferisches Wirken beflügelt haben, wie eine tiefe Gläubigkeit, Mitmenschlichkeit, ein bodenständiger Humor, Liebe und seine oft vergebliche Suche nach Glück.

Die Faszination des Wissenschaftlers Cusic gilt einem Phänomen, das sich rationaler Erklärung entzieht. Hanks "busting out", ein unablässiger Drang sich in seinen Songs zu offenbaren, kommt nicht aus dem Verstand, sondern aus dem Herzen. Sie sind Momentaufnahmen einer einzigartigen und zugleich tragischen Erfolgsgeschichte, die in ihrer Intensität einer Explosion gleicht: Einem kurzen, aber überaus hellen Lichtschein folgen Funken, die noch lange weiter glühen......

(5) Heute wissen wir, dass Hank Williams weit mehr als die 140 Songs in Don Cusics Sammlung geschrieben hat. Von vielen Songs ist keine Melodie überliefert. Aus unterschiedlichen Quellen tauchten von 1993 bis in die jüngste Gegenwart immer wieder neue Songs und Songtexte auf, so vor allem

Jim Murphy, Verfasser des Beitrags The Mother’s Best Classic Radio Shows im letzten Rockin’ Fifties Heft hat eine Auswahl von zehn Liedertexten aus den WSFA Song Books neu vertont. Dies geschah mit viel Einfühlungsvermögen für den mutmaßlichen Original Sound, d. h. wie die Songs vielleicht einst geklungen haben mögen, als Hank Williams vor 60 Jahren im Rundfunkstudio des alten Jefferson Davis Hotels in Montgomery vor dem Mikrofon stand.

Ol’ Hank would be proud ! Eine kommerzielle Veröffentlichung der aufgelisteten Titel gibt es noch nicht.

      1. The Last Message
      2. Days Are So Lonely
      3. You Always Seem To Go The Other Way
      4. Won’t You Please Come Back
      5. Am I Too Late To Say Sorry
      6. Just Wish I Could Forget
      7. There Is No Light Shining
      8. Someday You’ll Be Lonely Too
      9. You’ll Love Me Again
      10. Back Ache Blues

Irene, im August 1922 geboren, hatte eine enge Bindung zu ihrem um ein Jahr jüngeren Bruder und unterstützte Hank bei der Verwirklichung seines Traums, Musiker zu werden, auf vielfältige Weise. Nach seinem Tod gab sie zahlreiche Interviews und veröffentlichte in Zeitungen und Zeitschriften ihre Erinnerungen an Hiriam, wie Hank Williams nach dem Eintrag in seiner Geburtsurkunde amtlich hieß. An seinen selbst gewählten Vornamen "Hank" hatte sich Irene zeitlebens nicht gewöhnen können.

Als 1955 die Mutter Lillybeth "Lilly" Stone starb, ließ Irene keine Bereitschaft erkennen, für die von Lilly an Kindes Statt angenommene nichteheliche Hank Williams Tochter Cathy Stone, heute Jett Williams, zu sorgen. Cathy wurde zur Adoption frei gegeben. Die Herzlosigkeit, mit der Irene das zwei Jahre alte Kind einem ungewissen Schicksal überließ, hat sich aber später als eine glückliche Fügung für Cathy (bzw. Jett) erwiesen. Denn 1969 wurde Irene an der mexikanischen Grenze mit Kokain im Wert von 7 Mio. US Dollars, versteckt unter dem Rücksitz ihres Autos, verhaftet. Eine verhängte achtjährige Gefängnisstrafe musste sie in West Virginia, unweit dem Ort, wo16 Jahre zuvor Hanks Tod festgestellt worden war, verbüßen. Irene lebte zuletzt allein und verarmt in Dallas, Texas. Dort starb sie im März 1995.

Kurz vor ihrem Tod trennte sie sich für 30.000 US-Dollars von allen Erinnerungsstücken, die ihr als Andenken an ihren Bruder geblieben waren. Der Käufer Marty Stuart, einer der großen Stars der Country Music unserer Tage, musste Irene versichern, die Sammlung mit gebührendem Respekt zu behandeln und dieses Versprechen bei allen Entscheidungen über die Nutzung der Erinnerungsstücke zu beherzigen. Neben Bühnenuniformen, Cowboyhüten und Krawatten ihres Bruders beinhaltete die Sammlung u. a. einige Briefe, Urkunden, Zeitungsausschnitte, persönliche Utensilien, Hanks Anglerausrüstung, viele bis dahin unbekannte Fotos – und zahlreiche bis dahin unbekannte Liedertexte. Marty Stuarts Versprechen ist in eindrucksvoller Weise eingelöst worden. Fotos und Liedertexte wurden in einem 2001 in den USA erschienenen grandiosen Bildband der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

Mit Hank William – Snapshots From The Lost Highway von Colin Escott & Kira Florita, DA CAPO PRESS, ISBN 0-306-81502-2 ist eine aufwändige Produktion gelungen, die nur in Superlativen gewürdigt werden kann. Sie ist als Hardcover Version, aber auch im Paperback erhältlich (Preis bei Amazon.com ca. 30 bzw.14 USD). Die als Fotodruck abgebildeten Songtexte sind ausnahmslos Kopien von Hanks Notizbucheinträgen in seiner Original Handschrift. Eine Wiedergabe als gedruckter Text befindet sich im Anhang des Buches. Auch die Fülle zuvor unbekannter Fotos ist überwältigend. Ein nach den wichtigen Stationen in Hanks Leben gegliederter Textteil beschränkt sich hingegen auf kurz gefasste notwendige Informationen. Die 2004 von den gleichen Autoren herausgegebene überarbeitete Fassung der Hank Williams Biographie (s. Rockin’ Fifties, Ausg. Nr. 92, S. 19) bleibt für ein umfassenderes Informationsbedürfnis insoweit unentbehrlich.

Hank Williams kannte das Potential seiner Songs sehr genau und trennte sich nur von solchen Texten, in die er selbst keine großen Erwartungen setzte. Die "Guten" behielt er für sich. Er hat sich darin auch nur einmal geirrt (Faron Young’s Going Steady erreichte Anfang 1953 Platz 2 der Billboard Disc-Jockey Charts).

Bear Family Records hat 1998 ein wichtiges Album herausgebracht, das solche Songs ein halbes Jahrhundert nach ihrem Zustandekommen dem interessierten Publikum vorstellte. Die CD Hank Williams - Songwriter to Legend (BCD 16286 AH) ist eine Sammlung von 16 aus Hanks Feder stammenden Liedern, alle aufgenommen von anderen Künstlern. Den Rest des Albums bestreiten zehn kurz nach Hanks Tod erschienene Tribute Songs und zwei Bonus Tracks. Alle Titel sind im Begleitheft ausführlich beschrieben. Das Album hat vor allem in den USA Aufsehen erregt und lieferte dortigen Sammlern und Fans Anregungen, systematisch weiter zu machen, wo Bear Family Records nach einem viel versprechenden Anfang stehen geblieben ist.

Von Hank verfasste oder mitverfasste Songtexte, die nur als Aufnahmen anderer Künstler existieren, werden von Sammlern in den USA den folgenden vier Kriterien zugeordnet:

Erste Gruppe: Die frühen kommerziellen Veröffentlichungen (The Early Commercial Releases)

Die Aufnahmen verschiedener Künstler entstanden zu Hank Williams Lebzeiten oder kurz danach. Bei allen Aufnahmen ist Hanks Urheberschaft oder Mitwirkung dokumentiert. Die meisten Titel auf der Bear Family CD sind dieser Kategorie zuzuordnen (mit * markiert).

 

 

 

Zweite Gruppe: Die Songs mit verborgener Urheberschaft (The Uncovered Songs)

Hanks Urheberschaft bzw. Mitwirkung ist gesichert, aber nur bei wenigen der 13 Titel eindeutig dokumentiert. Ein faszinierendes Kapitel ist seine Verbindung zu Lefty Frizzell, einem anderen bedeutenden Star der Country Music in den 50iger Jahren. Das Zusammenwirken der beiden füllt eine eigene Geschichte. Hank und Lefty sind sich mehrmals begegnet und auch zusammen aufgetreten (ohne dass davon Aufnahmen erhalten geblieben sind). Fünf Lefty Frizzell Titel im Bear Family 12 CD Box Set "Life Is Like Poetry" tragen Hanks alias-Namen Herman P. Willis als Verfasser. Lefty Frizzell wollte offensichtlich urheberrechtlichen Streitigkeiten aus dem Weg zu gehen, als er bei den

Studio-Aufnahmen nach Hanks Tod sich für dessen (bei Insidern bekannten) alias-Namen entschied, um Hanks Urheberschaft bzw. Mitwirkung zu dokumentieren - und gleichzeitig zu verschleiern.

Eine eher pikante Episode rankt sich um den Titel Goin’ Steady, den Hank seinem Opry Kollegen Faron Young überließ, nachdem er ihm dessen Freundin Billie Jean ausgespannt hatte. Es handelte sich wohl um den ungewöhnlichsten Tausch der Musikgeschichte.

Dritte Gruppe: Die unvollendeten Lieder (The Unfinished Songs)

Es handelt sich um jene legendären, von Hanks Mutter angeblich in einer Schuhschachtel gesammelten Liedertexte, die nach Hanks Tod zunächst von Fred und Wesley Rose in Verwahrung genommen waren (tatsächlich befanden sie sich in einem Aktenkoffer). Später hat Hank Williams Jr. achtzehn dieser Texte vertont und zum größten Teil Ende der 60iger/Anfang der 70iger Jahre auf zwei LPs (Songs My Father Left Me und Living Proof) herausgebracht. Einen weiteren Titel (Cowboys Don’t Cry) überließ Wesley Rose 1984 einem Songwriter namens Mickey Newbury, der eine Melodie zu dem Text schrieb und das Stück durch Waylon Jennings aufnehmen ließ.

Vierte Gruppe: Das Zusammenwirken mit Jimmy Fields (The Jimmy Fields Collaboration)

Dieses mysteriöse Kapitel der Hank Williams Geschichte beruht allein auf den Schilderungen Jimmy Fields, einem Künstler lokaler Bekanntheit aus Dallas,Texas. Fields und Hank kannten sich seit 1947. In der Folgezeit sind sich die beiden bei Hanks Auftritten im Big "D" Jamboree in Dallas mehrmals begegnet. An einem Freitag im August oder September 1952, kurz nach Hanks Rausschmiss aus der Opry, will Fields den Anruf eines offensichtlich alkoholisierten Hank Williams empfangen haben, der ihn um Abholung vom Flughafen in Dallas bat. Fields Strategie, Hank über das Wochenende von der Flasche fern zu halten, war anscheinend erfolgreich. Im Marathon schrieben die beiden Songtexte und komponierten dazu Melodien. Williams und Fields brachten von Freitag bis Montag angeblich 33 Liedertexte bzw. Liederfragmente zu Papier. Einige der fragmentarischen Texte wurden später von Lefty Frizzell nachbearbeitet. Daraus sind acht Aufnahmen durch drei Interpreten, nämlich jeweils zwei Aufnahmen von Jimmy Fields und von Lefty Frizzell, sowie vier Aufnahmen von Ronnie Ray, einem von Fields geförderten jungen Künstler, entstanden. Ronnie Rays Aufnahmen sind erst in den 90iger Jahren auf einer CD erschienen.

Jimmy Fields lehnte es ab, Bear Family Records die beiden von Lefty Frizzell aufgenommenen Tracks für deren 12 CD-Set zur Verfügung zu stellen. Trotzdem findet sich "Steppin’ Out" in zwei verschiedenen Versionen in Life Is Like Poetry, während "Always in Love" als einziger von Leftys Songs keinen Eingang in diese einzigartige Sammlung gefunden hat. Fields lebt in der Nähe von Dallas und hütet, soweit bekannt, dort noch immer die obskuren, an jenem denkwürdigen Wochenende angeblich gemeinsam mit Hank verfassten Liedertexte. An die zusammen mit Hank gespielten Melodien will er sich noch heute erinnern. Alle Titel der nicht veröffentlichten 26 Songs sind bekannt und mit Hanks und Fields Urheberschaft bei BMI registriert. Von den veröffentlichten und unveröffentlichten Songs waren von Jimmy Fields und Hank Williams keine Demos aufgenommen worden.

(6) Wenn Don Cusics Liedersammlung vor zwölf Jahren noch 140 Lieder umfasst hat, so geht eine nach durchaus restriktiven Auswahlkriterien erstellte neue Liste heute von einer mehr als doppelt so hohen Zahl aus. Eine Hank Williams "Songography" im Anhang zur Neuauflage (2004) von Colin Escott’s " Hank Williams – The Biography" enthält 286 Titel. Die Hank zugeschriebenen Songs von jenem "schöpferischen" Wochenende mit Jimmy Fields in Dallas, Texas, sind darin nicht enthalten. Ebenso wenig erscheint in der Liste der deutsche Titel "Geträumtes Glück", der zu Spekulationen Anlass gibt, ob ein irgendwo schlummernder Songtext mit Hanks Deutschland-Reise im November 1949 in Verbindung steht. Auch ein im letzten Jahr im Internet aufgetauchter Song von Hank "I’ll Be True To The One That I Love", den er auf seiner Gitarre begleitet, fehlt in der Songography. Ob in den kommenden Jahren noch weitere nennenswerte "Entdeckungen" für Überraschung sorgen werden, ist eher zweifelhaft. Doch ein bedeutender Fundus von noch unveröffentlichtem Material verspricht den Fans und Sammlern von Hank Williams, dass es auch in den kommenden Jahren weiter spannend bleiben wird.

(Der Verfasser beantwortet gern Fragen zu diesem Beitrag oder allgemein zu Hank Williams, E-Mail: reinhardt57@aol.com )

Text und Foto Copyright: Manfred Reinhardt