STARS FELL ON ALABAMA – EIN SOLCHER STAR VERSPRICHT DER ACHT JAHRE ALTE RICKY FITZGERALD ZU WERDEN. SEINE MUSIKALISCHE BEGABUNG HAT TRADITION, DENN RICKY IST MIT HANK WILLIAMS SR. VERWANDT. VIELE GLAUBEN SOGAR, ER SEI HANKS URENKEL UND SPRECHEN BEREITS VON HANK IV.

Von Manfred Reinhardt

Die Zuschauer halten den Atem an, als der nächste Künstler die Bühne betritt. Völlig unbefangen wirkt der Knirps, die viel zu große Gitarre lässig um den Hals gehängt, dem Publikum freundlich zuwinkend. Im kindlichen Alter von 7 Jahren ist Ricky Fitzgerald gerade mal über sein Instrument hinaus gewachsen. Über den Rand des Klangkörpers hinweg behält er seine mehr als tausend Zuhörer fest im Blick, keine Spur von Lampenfieber. Und dann beginnt die Band zu spielen. Rickys kleine Finger greifen die Akkorde auf dem Steg. Er spielt tatsächlich mit. Die Gitarre ist kein Requisit, das er nur zum Schein mitführt. Hank Williams Hit Hey, Good Lookin’ singt Ricky mit sicherer Knabenstimme bis zum letzten Vers, gefolgt von Folsom Prison, dem unvergesslichen Song von Johnnie Cashs Auftritt im San Quentin Hochsicherheitsgefängnis.

Das Hank Williams Festival in Georgiana hat einen neuen Star gewonnen, der so manchen Oldtimer in den Schatten stellt. Schon ist von Hank IV die Rede, nicht ohne Grund, denn Little Ricky ist mit Hank Williams verwandt. Sein Vater Lewis "Butch" Fitzgerald ist der Sohn von Marie Harvell, die eine Cousine ersten Grades von Hank Williams war (Hanks Mutter Lillybeth und Maries Mutter Annie Skipper waren Schwestern). Als Annie (verheiratete McNeil) in den frühen dreißiger Jahren einem Ausbruch von Typhus zum Opfer fiel, nahm Hanks Mutter die damals 12 Jahre alte Marie und deren Schwester Bernice in ihrem Haushalt auf. Marie hatte wegen einer sichtbaren körperlichen Behinderung nie eine Schule besucht, angeblich weil ihr Vater Grover McNeil sie nicht dem Spott von Mitschülern aussetzen wollte. Marie war umso mehr eine willkommene Hilfe in Mutter Lillybeths Pensionsbetrieb. Erst der Tod von Hanks Mutter im Jahre 1955 sollte Marie aus deren Abhängigkeit lösen.

Marie war zwei Jahre älter als Hank. Im Jahr 1942 wurde sie schwanger und schenkte am 24. Juni 1943 einem gesunden Knaben das Leben. Hank zeigte eine rührende Anteilnahme an der Geburt des Kindes, das auf den Namen Lewis getauft worden war. Für Hank Williams war Lewis "My Butch". Diesen Kosenamen führt Lewis noch heute mit Stolz. Hanks Zuneigung für das Kind ließ schnell Gerüchte ins Kraut schießen, er sei sein leiblicher Vater. Hank, dem Schlingel, war schließlich alles zuzutrauen, selbst Sex mit einer nahen Verwandten. War er nicht mehrmals von Mutter Lilly ertappt worden, als er nachts auf Maries Zimmer schlich? Um allen Gerüchten ein Ende zu setzen, heiratete Marie bald nach der Geburt des Kindes einen in Montgomery stationierten Soldaten namens Conrad Fitzgerald. Zu einem ehelichen Zusammenleben scheint es nie gekommen zu sein. Bereits drei Jahre später folgte die Scheidung. Trotz häufiger Querelen mit Hanks Mutter verrichtete Marie weiter ihre tägliche Arbeit im Boarding House, putzte die Zimmer und kochte für die Pensionsgäste.. Ein wichtiges Anliegen schien für Marie vor allem gewesen zu sein, dass der frisch angetraute Ehemann dem Sohn Lewis/Butch seinen Namen erteilen und damit Spekulationen um die Vaterschaft ein Ende bereiten würde. Und so geschah es dann auch. Amerika kämpfte zu jener Zeit an mehreren Fronten im Zweiten Weltkrieg. Das tagtägliche Sterben junger Amerikaner in der Fremde ließ an der "Heimatfront" andere Ereignisse von geringerer Bedeutung in den Hintergrund treten. Selbst im erz-konservativen Süden der USA, dem so genannten Bible Belt, sah man nichteheliche Geburten plötzlich in einem milderen Licht.

Butch wuchs in Lillybeths Boarding House auf und erinnert sich noch gut an einzelne Begebenheiten, die in der Hank Williams Chronologie nachzulesen sind, so an Hanks letzten Besuch in Montgomery um die Weihnachtszeit 1952, mit der bildschönen jungen Ehefrau Billy Jean an seiner Seite. Oder als die Todesnachricht wie eine Bombe einschlug, Hank im Boarding House in der Mc Donough Street aufgebahrt wurde und Butch sah, wie seine Mutter Marie, in Tränen aufgelöst, auf der Terrasse des Boarding House stand und Charles Carr, Hanks Fahrer auf jener unglückseligen Reise, seinen Arm tröstend um ihre Schultern legte.

Als sich im Erwachsenenalter Butchs Gesichtszüge ausprägten, glaubten viele, die Hank Williams gekannt hatten, bei Butch eine auffallende Ähnlichkeit zu erkennen – seine hoch stehenden Backenknochen, die dunklen Augen, der schmale Mund. Auch der Haarausfall setzte früh bei ihm ein, so wie bei Hank.

Butch ist nicht Rickys leiblicher Vater, sondern sein Großvater. Er hat die Vaterrolle von seinem Sohn, der auch Ricky Fitzgerald heißt, übernommen und, gemeinsam mit seiner Frau Rita, das Kind adoptiert. Butch und Rita haben keine Verbindung mehr zu Rickys leiblichen Eltern, die sich nach der Geburt des Jungen aus dem Staub gemacht und seitdem nicht mehr um das Kind gekümmert haben. Unabhängig von welcher Verwandtschaftslinie man ausgeht, Rickys Blutsverwandtschaft mit Hank Williams bleibt unverrückbar. Hat Little Ricky etwa jene Gene mitbekommen, die Hank Williams als Songwriter und Shakespeare des kleinen Mannes beflügelt haben? Bereits mit vier Jahren lernte Ricky scheinbar mühelos Hanks Songtexte auswendig und war fortan von seiner Kindergitarre nicht mehr zu trennen.

Ricky, so versichert Butch, habe diese Rolle im frühen Kindesalter für sich selbst bestimmt. Niemand habe ihn dazu gedrängt. Eine Hank Williams-Ecke im Gartenhaus auf Butchs Wohngrundstück ist mit ein paar Postern und gerahmten Bildern dekoriert. Für gelegentlich vorbeikommende Besucher sind ein paar verblichene Fotoalben aus dem Nachlass seiner Mutter ausgelegt. Im Haus ist außer ein paar Platten und CDs nichts vorhanden, was geeignet wäre, ein Kind für das Idol Hank Williams und seine Musik zu begeistern. Es kam alles aus ihm selbst heraus, beteuert Butch, während Rita zustimmend nickt.

Inzwischen hat Ricky seinen neunten Geburtstag gefeiert. Auf dem letzten Hank Williams Festival in Georgiana im Süden Alabamas, das auch in diesem Jahr wieder am ersten Wochenende im Juni stattfand, hatte Ricky vier Auftritte. Sein von Vater Butch geführter Terminkalender füllte sich zusehends. Es sind weitere Instrumente hinzu gekommen, die Ricky schon erstaunlich gut beherrscht, so u. a. die Mandoline und das Dobro. Sein Debut vor großem Publikum feierte Ricky Anfang 2006 mit einem Auftritt im Jubilee Community Center in Montgomery. Es folgt Originaltext:

Just a line to let you know Ricky rocked the house at the Jubilee

Community Center, they raised over $600.00.  He was all over the

news Monday (WAKA Channel 8)  It was a real good show. Karren

Pell, Tim Henderson, Joe Kollar, Sarah Felder, Nils Maaetoft, and

RickTaft did a super job too!! Ricky will be with the same show

(Stars Fell on Alabama Music Revue) at Georgiana GaAna Theater

Saturday night March 4th at 7:00, doors open at 6:00, admission $6 each.

 

Auch die Frage nach Rickys Schulausbildung wird immer wieder gestellt. Wie verträgt sich seine Rolle als Unterhalter in der Welt der Erwachsenen mit der Notwendigkeit, eine gute Ausbildung zu erlangen und im Umgang mit Gleichaltrigen soziale Kompetenzen zu erwerben? Kein Problem, kontert Butch. Ricky sei ein guter Schüler. Er habe eine schnelle Auffassungsgabe und verhalte sich unter Gleichaltrigen völlig normal.

Von Randall Hank Williams Jr. (Hank II) und dessen Sohn Shelton Hank (III) kamen bisher keine Signale an Little Ricky. Hank Jr. und Butch sind sich irgendwann in den letzten Jahren am Rande eines Auftritts von Hank Williams Jr. begegnet. Seit neuerdings wieder das Gerücht von Hanks Vaterschaft im Verhältnis zu Butch die Runde macht, geht Hank Williams Jr. offenbar auf Distanz. Hanks Tochter Jett Williams hat diesbezüglich keine Berührungsängste. Bei dem Auftritt von Jett und Ricky in Georgiana vor wenigen Monaten begrüßte Jett den kleinen Ricky als ihren "Little Cousin" (Foto). Die beiden hatten als Kinder unterschiedlichen Alters einige Jahre gemeinsam in Lillybeths Pension in der Mc Donough St. verbracht, woran sich zwar noch Butch, nicht aber Jett Williams erinnern kann, die damals Catherine (Cathy) Yvonne Stone hieß. Ein Foto in Jetts Buch Ain’t Nothin’ As Sweet As My Baby zeigt die einjährige Cathy (später Jett) zusammen mit dem etwa 10 Jahre alten Butch im Garten von Mutter Lillybeths Boarding House.

Butch und seine Mutter Marie Harvell (nach ihrer Scheidung von Conrad Fitzgerald folgten zwei weitere Ehen) lebten über viele Jahre hinweg Haus an Haus in einer ärmlichen Wohngegend im Nordwesten von Montgomery. Marie hütete das Geheimnis von Butchs Abstammung bis zu ihrem Tod. Sie starb kurz vor Vollendung ihres 70. Lebensjahres am 17. Januar 1991, ohne ihren einzigen Sohn über seine väterliche Abstammung aufzuklären. Butch hat angesichts einer äußerst schwierigen Beweislage von einer gerichtlichen Feststellung seiner Abstammung Abstand genommen. Doch in seinem Innern bleibt die feste Überzeugung bestehen, Hank Williams Sohn zu sein. Und Klein Ricky arbeitet zielstrebig an einer großen Karriere nach dem Vorbild seines bedeutenden Verwandten, der vielleicht sein Urgroßvater gewesen war.

Ricky "On Stage" Butch und Jett als Kinder auf dem Grundstück von Lilly Stones Boarding House
Ricky
Butch und Jett
Verfasser und Butch
Verfasser Hank
Hier ein hübsches Foto von Butch und Littly Ricky. Die Ähnlichkeit von Butch mit Hank ist unverkennbar, besonders hat Butch auf dem Foto ganz Hanks Mundpartie.
Butch und Litle Ricky
Jett
Ricky
Text und Foto Copyright: Manfred Reinhardt