Der Titan im Titania Palast

Hank Williams trat am 18. November 1949 in Berlin auf. Ein Konzertbesucher erinnert sich.

Von Rüdiger Bloemeke

In den Ruinen der zerstörten Stadt wirkten die Stimmen der Ansager wie die Botschaft von einem anderen Stern. Ihre Musik klang wie der Rhythmus einer fremden Welt, was sie auch war. Günter Saleh Dybe saß häufig interessiert vor dem Radio, hörte regelmäßig die Sendungen "Stickbuddy Jamboree" und "Hillbilly Gasthaus", in denen die Songs von Hank Williams und Ernest Tubb den Ton angaben. In seinem weltoffenen Elternhaus gab es keine Vorbehalte gegen den Soldatensender. Der Junge besaß schon eine Gitarre und begleitete die Country-Lieder aus dem Radio, die damals noch "Hillbilly" oder "Country und Western" hießen.
Ankunft in Berlin

Auf dieser CD ist der Konzertmitschnitt von Hank Williams ua. in Berlin. Das Front Cover der CD zeigt die Ankunft in Berlin Tempelhof v.l.n.r. Red Foley, Little Jimmy Dickens, Minnie Pearl und Hank Williams

Titania Palast 1928
Am 26. Januar 1928 wurde der Titania-Palast eröffnet.
Er bot 2.071 Sitzplätze und war prunkvoll eingerichtet.
So gut er es verstand, schrieb er die Liedertexte mit. "An deutschen Schlagern war ich nicht interessiert: Die deutsche Musik war mir zu süßlich!" Beim amerikanischen Sound begeisterte ihn die Leichtigkeit, die Ungezwungenheit, der "südliche Touch" der Countrybands. Während der Luftbrücke nahm die Verbundenheit der Berliner mit den Amerikanern noch zu. Günter Saleh Dybe sah die "Rosinenbomber" über die Stadt fliegen, erinnert sich, daß sie auch Süßigkeiten für die Kinder abwarfen. Ein Transportflugzeug stürzte in Friedenau in ein Wohnhaus, Menschen starben. Aber es kam keine Kritik an den Amerikanern auf, der AFN schmiedete die Freundschaft mit den Besatzern Tag für Tag zusammen.

Wie eine zweite Luftbrücke schuf die Musik aus Amerika eine feste Verbindung, die einen tieferen Eindruck hinterließ als die Bonbons aus den Flugzeugen. Etwa ein Jahr nach dem Abitur gründete Günter Saleh mit ein paar Freunden nach dem Vorbild der im US-Sender gehörten Gruppen eine Band, die "Rhythm Rangers" - Gitarre, Steel Guitar (selbstgebaut), Fiddle, Baß. Nebenbei gab er englischen und amerikanischen Offizieren Deutschunterricht, der AFN stand ihm für Besuche immer offen. Dort erfuhr er auch, daß am 18. November 1949 im Titania-Palast in der Schloßstraße ein Konzert für die GIs mit berühmten US-Musikern stattfinden würde. Der Titania-Palast 1952

Der Titania-Palast 1952

Der Titania-Palast Haupteingang 1955

Der Titania-Palast Haupteingang 1955
"Ich bin einfach hingegangen und sah schon von weitem einen Auflauf. Die Straße war von MPs abgesperrt, weil eine riesige Menge das Country Music Festival sehen wollte. Es gab keine Eintrittskarten. Da stand ich zwischen den Tausenden von GIs und wurde mit der Menge in den Titania-Palast hineingeschoben. Die Bühne ähnelte dem Stage der Grand Ole Opry. Mark White, der Leiter des AFN, machte Ansagen. Zu den Künstlern gehörte die Komikerin Minnie Pearl, Little Jimmy Dickens, Red Foley, der 'Freight Train Boogie' sang, Roy Acuff mit seinem traditionellen Stück 'I Saw The Light' und - Hank Williams. "

Das Theater kochte vor Begeisterung. Die Künstler spielten, was auch ich später mit meiner Band im Repertoire hatte. Hank Williams – mit Stetson - sang seine großen Hits 'Move It On Over' und 'Lovesick Blues'. Die Menge war von seinem Jodeln so hingerissen, daß er zwei Zugaben von 'Love Sick Blues' geben mußte. Es war faszinierend! Hank Williams hatte Charisma. Aber es war damals noch nicht anzunehmen, daß er diese Festigkeit erhalten würde. Er war einer von vielen, die gut ankamen. Er hat Wurzeln gelegt, z. B. mit 'Move It On Over', aber diese Musik war noch nicht als Richtung zum Rock definiert. Seinen Einfluß konnte man erst im Nachhinein erkennen. Erst der Vergleich mit den mehr traditionsgebundenen Musikern zeigt, wie die Leistungen der anderen dagegen verblassen. Der Titania-Palast Foyer 1949

Der Titania-Palast Foyer 1949

Saal

Der Zuschauerraum des Titania-Palastes war von beeindruckender Größe.
Hank Williams selber schien auch nicht ganz auf der Höhe seiner Bedeutung zu sein. Zwar trank der pathologische Alkoholiker auf der Tournee nicht, aber er mokierte sich über die Russen, als er in Deutschland zum ersten Mal kyrillische Buchstaben sah. Und in einem Lokal wurde er unflätig, als ihm kein Ketchup gebracht wurde, mit dem er das deutsche Essen ertränken wollte. Am 14. November 1949 hatte die "Opry"-Truppe zur Begrüßung in der amerikanischen Zone den Wiesbadener Stadtschlüssel überreicht bekommen und dem AFN vor ihrem Auftritt in der Wiesbadener Airbase Interviews gegeben.

Die Show zog weiter nach Frankfurt, München und Wien. Am 24. November trat sie zu Thanksgiving im Liberty Theater in Landsberg am Lech auf. Es blieb nicht nur bei der Musik, die Country-Musiker zeigten auch Interesse an der unmittelbaren Vergangenheit des Gastlandes. Von Landsberg ist es nicht weit zu den ehemaligen Außenlagern Kaufering des KZs Dachau. Minnie Pearl, Little Jimmy Dickens, Red Foley und Hank Williams besichtigten die damals noch erhaltenen Hütten, in den die KZ-Häftlinge untergebracht waren. Nahezu jeder zweite Häftling aus den Kauferinger Außenlagern überlebte das KZ nicht.


Titania Zuschauerraum, Blick vom Rang auf die Bühne

Titania Zuschauerraum Blick vom Rang auf die Bühne

Titania 1953

Titania Palast 1953
Der AFN blieb Günter Saleh Dybes musikalische Heimat. Er erzählte dort von seiner Band und bekam die einmalige Chance, in der Sommerpause live im Sender während der Sendung "Stickbuddy Jamboree" aufzutreten. Mittlerweile war sein arabischer Name Saleh zu Sally mutiert. Sallys bevorzugter Gesangsstil: Ernest Tubb. Dessen Lieder und Stimmlage sagten ihm am meisten zu. Die wichtigste Countryband der geteilten Stadt, die "Berlin Ramblers", denen Sally jetzt angehörte, war so sehr assimiliert, daß sie von GIs für eine amerikanische Gruppe gehalten wurde. Sie kamen gut an, und Anfang der fünfziger Jahre durften sie sogar im Begleitprogram mit Roy Acuff auf Tour durch die Berliner Clubs ziehen. Dybe: "Mich interessierte auch Bluegrass, aber Hank Williams blieb der herausragende Musiker, schon durch seinen frühen Tod wurde er zur Legende. Einer aus unserer Band hatte eine Tante in Amerika und schrieb ihr, damit sie ihm Hank-Williams-Platten schickte. Die verstand gar nicht, warum. Seine ersten Platten kamen bei uns ja erst später in den 50er Jahren raus."


titania Gebäude in der Nacht, Juni 2001

Titania Gebäude
in der Nacht, Juni 2001
titania 1999

Titania Palast abends am 18. November 1999, genau 50 Jahre nach dem Konzert mit Hank Williams
Aufnahne Reinhard Matthes
Kurzer Textauszug mit freundlicher Genehmigung aus dem Buch:
Live in Germany · Spurensuche im musikalischen Entwicklungsland
Rüdiger Bloemeke
224 Seiten, über 100 Seiten mit Schwarzweiß- und Farbabbildungen,
19,80 Euro · ISBN 978-3-00-023781-2
Voodoo Verlag, Hamburg, 2008
Live in Germany

Das folgende Video zeigt:

..Live Radio Broadcast im Jahr 1949
mit den Grand Ole Opry Stars -
Red Foley, Little Jimmy Dickens,
Cousin Minnie Pearl, &
Hank Williams in Berlins groesster Konzerthalle...