Charles "Charlie" Levi Walker
hat in den 50ern bis Mitte der 70er Jahre mit vielen großen Songs seine Fans begeistert – heute erinnern sich an ihn nur noch wenige. Er erzählt die Geschichte von Hank Williams letztem Geburtstag am 17. September 1952.
Von Manfred Reinhardt
Charlie Walker hat schon bessere Zeiten erlebt. Mühsam quält er sich aus dem Sitz seines Straßenkreuzers und humpelt die paar Schritte zum Ernest Tubb Music Store, der an der Musikmeile nahe dem Opryland Hotel in Nashville liegt. Jeder kennt den Laden unter der Kurzbezeichnung E.T.’s. Ein barmherziger Mensch öffnet Charlie die Tür zum größten Country Music Store der Welt und hilft ihm herein. Gestützt auf seinen Stock hält er inne und schaut sich um. Auf einer roh gezimmerten Holzbank, die einst vor Bill Monroes Blockhütte in Kentucky Besucher zum Verweilen einlud, erspäht er Les Leverett, den langjährigen Starfotografen der Grand Ole Opry, und George Merritt, Co-Autor von Colin Escott’s Hank Williams Biografie. Les und Charlie kennen sich seit mehr als 40 Jahren. Charlie Walker setzt sich zu den beiden. An Gesprächsstoff mangelt es nicht. Todesnachrichten beherrschen ihre Unterhaltung und man tauscht die Namen von gemeinsamen Weggefährten aus, die in jüngster Zeit unter der Rubrik "Obituaries" zum letzten Mal in der Zeitung standen. Eigentlich wollte Charlie nur kurz reinschauen um zu hören, wie der Verkauf seiner jüngsten CD so läuft.
Im Music Store verbreitet sich derweil die Kunde von Charlie Walkers Anwesenheit in Windeseile. Zwei Besucher aus Deutschland stürzen sich auf die CD Regale und werden schnell fündig. Von Charlies 2003 neu aufgelegten "Greatest Honky Tonk Hits" sind noch ein paar Exemplare vorrätig. Der einstige Star der Grand Ole Opry zeigt sich hoch erfreut, die CD-Covers für die visitors from overseas mit seinem Autogramm versehen zu dürfen. Er erwähnt beiläufig seine Europa Tournee vor mehr als drei Jahrzehnten, die ihn auch nach good old Germany geführt hat.
Stars, die in Würde alt und gebrechlich geworden sind wie Charlie Walker, tun sich schwer, nachwachsende Generationen für ihre etliche Jahrzehnte zurückliegenden großen Erfolge zu begeistern. Nur wenigen seiner Altersklasse ist mit einem Comeback die Rolle einer Legende zu Lebzeiten zuteil geworden, so wie Ralph Stanley beispielsweise. Wer hingegen in frühen Jahren und auf dem Höhepunkt seiner Karriere starb, hat sich mit dem Tod die Jugend bewahrt und das allein genügte zur Legendenbildung. Hank Williams Leben endete mit 29 Jahren und so jung ist die Legende für die Nachwelt dann immer geblieben. Charlie Walker hingegen lebt. Er kämpft mit demnächst 79 Jahren und von seinen Altersgebrechen schwer geplagt gegen das Vergessenwerden an.
Charlie Walker hat als Country Music Legende viel zu bieten. 35 Alben sind von ihm erschienen. Sein Lebenswerk, eine nahezu komplette Sammlung von 154 Songs, ist 1998 auf fünf CDs im Box Set vom Bear Family Label herausgegeben worden. Das in Deutschland erschienene Album sucht man bei E.T.’s in der Auslage vergeblich. Immerhin wird es im Versandkatalog für 120 Dollars angeboten.
In den Jahren seines Wirkens als Musiker von 1958 bis 1975 fanden 47 von Charlie Walkers Songs den Weg in die Billboard Country Music Charts. Sein erster großer Hit "Pick Me Up On Your Way Down" erreichte 1958 Rang zwei der Charts um dort vier Wochen zu verweilen. Rang eins war damals von Ray Price mit seinem Chartbuster "City Lights" schon unschlagbar besetzt.
Charles Levi Walker ist am 2. November 1926 in Copeville, Texas, etwa 35 Meilen östlich von Dallas, geboren. Mit 17 machte er seinen High School Abschluss. Country Musik hat ihn seit früher Kindheit fasziniert. Seine noch heute wohlklingende, kraftvolle Gesangsstimme verhalf dem Gitarristen bereits in den frühen 40iger Jahren zu Auftritten als Sänger in einer kommerziellen Western Swing Band aus Dallas, den "Bill Boyd & The Cowboy Ramblers". Eine Anstellung bei den Ramblers nach seinem Schulabschluss fand ein abruptes Ende, als Uncle Sam ihn 1944 zum Militärdienst einberief und nach der Grundausbildung in Kentucky zum Kriegsgeschehen nach Japan beorderte. Nach Japans Kapitulation wurde er wegen seiner klangvollen Rundfunksprecherstimme beim Armeesender "American Forces Radio Network" in Tokio eingesetzt. Dort moderierte er u. a. die auch im Nachkriegsdeutschland so beliebten Country Music Sendungen. Charlie gründete während seiner Militärzeit in Fernost mit ein paar musikbegeisterten Kameraden eine Hillbilly Band, wohl die erste, die es in Japan gab. "He introduced country music to the Japanese people", so steht es lapidar in seiner Biografie.
Nach dem Krieg startete er mit den in Japan gesammelten Erfahrungen beim Radiosender KMAC in San Antonio, Texas, eine Karriere als Rundfunkmoderator und Disc Jockey, die sich als überaus erfolgreich erweisen sollte. Sehr bald zählte er zum exklusiven Kreis der zehn beliebtesten Disc Jockeys in den USA. Die Hörer seiner Rundfunksendungen haben mehr als 10 Jahre lang immer wieder für ihn als einen der Top Disc Jockeys der Nation votiert. 1981 wurde Charlie Walker in die Disc Jockey Hall of Fame berufen. Seit 1951 besaß er in San Antonio einen eigenen Nachtclub, die "Old Barn", in der viele große Stars der Country Music auftraten. An Wochenenden strahlte KMAC von dort Live Country Music Sendungen vom Feinsten aus.
Es war am 17. September 1952, einem Dienstag, als Hank Williams in der "Barn" einen Auftritt gebucht hatte. Charlie Walker wusste, dass Hank an jenem Tag seinen 29. Geburtstag feierte und bestellte eine Torte mit der Aufschrift "Happy Birthday, Hank, From All Your Friends". Der Rand der Torte war mit den Musiknoten von Jambalaya verziert.
Hank reiste mit seiner Verlobten Billie Jean Jones an, die er wenige Wochen später in New Orleans heiraten sollte. Sein Auftritt in der Barn dauerte etwa eine Stunde. Hank war in guter Verfassung und die Zuhörer spendeten begeisterten Applaus. Als sich Hank von den Zuhörern verabschiedete, will Walker Tränen in seinen Augen bemerkt haben. War es die Freude über eine gelungene Geburtstagsüberraschung oder ahnte Hank damals, dass es sein letzter Geburtstag sein würde? Die nach dem Auftritt geplante Geburtstagsparty endete, bevor sie begonnen hat. Fans stürmten die Bühne und verlangten lautstark nach Hank Williams, der sich mit Billie Jean in einen Umkleideraum zurückgezogen hatte. Charlie Walker stand schützend vor der Tür, um die Fans abzuwehren. Einem kräftigen Mann gelang es dennoch, sich gewaltsam Zugang zu verschaffen. Sicherheitskräfte rückten an, um Hank und seine Verlobte zu schützen und den in Rage geratenen Eindringling zu bändigen. Bei dem Handgemenge ging dann die Geburtstagstorte zu Bruch.
Charlie Walker hatte den Traum von einer eigenen Musikerkarriere trotz seiner großen Erfolge als D.J. und Rundfunkmoderator nicht begraben. 1956 erreichte sein bei DECCA erschienener Song "Only You, Only You" die Top Ten der Country Charts. Sein nächster Plattenvertrag mit dem COLUMBIA Label stand mit "Pick Me Up On Your Way Down" gleich zu Beginn unter einem besonders glücklichen Stern. Mehr als 1 Million Platten wurden davon verkauft. Zahlreiche weitere Titel mit hoher Chart-Platzierung folgten nach. Mit "Good Deal Lucille" landete Walker Anfang der 60iger Jahre einen ungewöhnlichen Hit, der vor allem außerhalb der USA einschlug. Der Liedertext besteht aus einem gekonnten Mix englischer und französischer Lyrik, womit die Amerikaner anscheinend nicht viel anfangen konnten. Ein Platz in den US Charts blieb dem Stück versagt.
GOOD DEAL LUCILLE
Goodbye Lu cherchez vous another man
C'est l'amour pour toujours, if you can
You're high class, you gotta pass, now you're a wheel
Ho, ho, good deal Lucille
Go your way, leave today, that's your plan
Leave me here, cherchez vous another man
Paint the town, sorrows drown, that's how I feel
Ho, ho, good deal Lucille
Parlez vouz, here's to you, it's your game
If I'm here or I'm gone, it's all the same
Call the tunes, stack the cards, this is your deal
Ho, ho, good deal Lucille
Au revoir, so long and goodbye
C'est la vie, woe is me, me-oh-my
Paint the town, sorrows drown, that's how I feel
Ho, ho, good deal Lucille
Zu seinen unvergessenen anderen großen Hits zählen "Tell Her Lies And Feed Her Candy,"
"Don’t Squeeze My Sharmon," "My Shoes Keep Walking Back" und "Truck Driving Man" – einer der bekanntesten Trucker Songs weltweit.
1964 wechselte Walker erneut das Plattenlabel, dieses Mal zu EPIC. Es sollte nicht sein letzter Wechsel gewesen sein. 1972 folgten RCA und 1975 CAPITOL. Seit 1965 lebt Walker in Hendersonville, einem Nobelvorort von Nashville, wo viele Country Music Stars ihre Tantiemen in prachtvolle Residenzen investiert haben.1967 wurde er als Mitglied in die Grand Ole Opry gekürt. Eine weitere Station seines Wirkens war das bekannte Spielcasino "Golden Nuggett" in Las Vegas, wo er zwischen 1965 und 1967 manchmal über viele Wochen hinweg Abend für Abend auftrat. Dort wurde er zu dem Song "The City That Never Sleeps" inspiriert, der 1967 Platz 37 der Charts erreichte.
Charlie Walker war ein typischer Vertreter des Honky-Tonk Sounds der fünfziger und sechziger Jahre. Der Sound ist in den gleichnamigen Kneipen entstanden und war damals hauptsächlich über die Jukeboxen populär geworden. Walker gilt neben Ray Price als Mitbegründer des heute in der County Music gängigen 4/4 Shuffle Beat. Ray Price hat die Honky-Tonk Tradition der Country Music mit seinem eigenen Markenzeichen versehen, als er 1956 seinen Nr. 1 Hit Crazy Arms im 4/4 Shuffle Beat sang und spielte. Charlie Walker folgte diesem neuen Trend nur wenig später.
Honky-Tonk als Stil und Ausdrucksform der Country Music hat einige von Charlie Walkers Songs inspiriert. So ist mit "Honky Tonk Season," "Close All The Honky Tonks" und einer Cover-Version des Rolling Stones Hits "Honky Tonk Women" eine Trilogie von Honky Tonk Tunes entstanden. Weitere Titel mit Honky Tonk Bezug finden sich in der 5-CD Sammlung, so eine Cover-Version des Hank Williams Klassikers "Honky Tonk Blues" sowie "Honky Tonk in Dallas", "Out of a Honky Tonk" und "Honky Tonk Song".
1975 hatte Charlie Walker seinen letzten Chart-Erfolg mit Odds And Ends (Bits And Pieces) erzielt. Trotz regelmäßiger Auftritte in der Grand Ole Opry wurde es um ihn stiller, vor allem als 1986 ein Comeback mit dem Label MCA (Music Corporation of America) in Nashville gescheitert war.
Charlie Walker – Liedermacher, Entertainer, Sänger und Gitarrist, Rundfunkmoderator und Disc Jockey, Freigeist und Gentleman, Sponsor sozialer Einrichtungen für sprachbehinderte, bedürftige Kinder, Sieger in so manchen Golf Tournaments und Sport-Reporter, Darsteller in verschiedenen Spielfilmen, geehrt als "Favorite Son of Texas" durch das Staatsparlament in Austin, Kandidat in den Vorwahlen für den US-Senat (1992) - eine bemerkenswerte Lebensbilanz. Wer wissen möchte, wie wirklich gute Country Musik klingt, der sollte sich, einen Sixpack besorgen, entspannt zurücklehnen und ein paar von Charlie Walkers zeitlosen großen Songs anhören.
Diskografie
Alben: - Charlie Walker Greatest Honky Tonk Hits, AUDIUM records AUD-8187 (2003)
- Pick Me Up On Your Way Down, 5 CD Box Set, Bear Family BC 15852 (1998)
Charlie Walker und Les Leverett |